Freitag, 12. Juli 2013

Wer hat an der Uhr gedreht?



Adelaide!
Ja, es ist soweit! Mit der Ankunft ist Adelaide und einem Blick auf die Landkarte wurde es mir plötzlich bewusst:
Der Kreis schließt sich!
Im wahrsten Sinne des Wortes :)

Meine Tour ist vollkommen! Ich bin am Ziel angelangt! Ein langer Weg liegt hinter mir, Schritt für Schritt hat sich die Reiseroute immer mehr ausgeweitet.
Ich war stets auf der Suche nach dem Neuen, und so habe ich Orte und Plätze von unglaublicher Schönheit gesehen, die ich mir nicht im Traum hätte ausmalen können.

In einer Seitenstraße in Adelaide reihten wir uns spät abends hinter ein paar anderen parkenden Autos ein. Unser Campervan Juri wurde geparkt. Wir legten uns gemütlich auf die Matratze und mit ein wenig Nostalgie ließ ich Bilder von der zurückliegenden Tour durch Australien an meinem inneren Auge vorbeiwandern.
Ich war stolz auf all die Herausforderungen, die wir gemeistert hatten, und ich blickte in die Zukunft. Nur noch ein großes Projekt stand auf dem Plan:
Der Verkauf unseres treuen Gefährten Juri.
Für ihn ist leider kein Platz im Handgepäck und so müssen wir ihn
schweren Herzens in Australien zurücklassen. Gedankenverloren schmiedete ich Pläne, wie wir den Verkauf clever anstellen konnten, als plötzlich:
ZACK!
Ich spürte, wie der komplette Van bedenklich wackelte. Ich schreckte auf und wusste zunächst nicht wie uns geschah, doch Céline und Alina hatten sich geistesgegenwärtig aufgesetzt. Dann plötzlich erkannte ich die Rücklichter vom Geländewagen, der vor uns geparkt war. Beim Ausparken hatte er unseren Juri erwischt.
Ohne zu zögern drückte Alina auf die Hupe, doch das verdächtige Auto beschleunigte und wir konnten nur noch die Rücklichter sehen. Fahrerflucht.
MAN, ich konnte es nicht glauben. Sofort schälten wir uns aus unseren Schlafsäcken und begutachteten nervös den Schaden an unserem Juri:
NICHTS. Wir konnten es kaum glauben, aber er war unverletzt. Unser Freund Juri hatte den Zwischenfall ohne Kratzer überstanden :) LUCKY!
Dann plötzlich näherten sich Scheinwerfer. Ein Auto.
DAS FLÜCHTENDE AUTO! Sofort stellten wir die Person hinter dem Steuer zur Rede!
Zunächst war ich geschockt: Die ausparkende Person war ein MANN!
Er entschuldigte sich sofort und meinte, er habe nichts bemerkt, aber er würde natürlich für den Schaden aufkommen. Er war ehrlich und es war ihm sichtlich unangenehm, gar peinlich!
Wir verziehen ihm, es war schließlich kein Schaden entstanden. Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er nur für seine Familie Pizza holen wollte.
Sympathischer Kerl, und nach ein wenig Smalltalk legten wir uns zurück in den Wagen.
Puh. Aufregender Abend!
Wir spürten, dass uns der Juri wirklich mehr am Herzen lag, als wir vermuteten – schließlich ist er Teil unserer Reisefamilie J Und wie ich mich mit Céline und Alina unterhielt, klopfte es plötzlich an unserer Türe.
PUH! WAS DENN JETZT?
Sofort schoss mir ein Gedanken in den Kopf: Ordnungshüter! Er hat uns entlarvt und will uns nun von unserem Schlafplatz vertreiben. Meine Stimmung sank.
Doch statt einer tiefen Männerstimme hörte ich plötzlich Gekicher – von kleinen Kindern. Ich blickte in die fragenden Gesichter von Céline und Alina und öffnete vorsichtig die Türe:
Der Familienvater von vorhin und eine Bande von kleinen Kids standen vor unserem Van!
Sie hatten drei Tassen heißen Tee und belegten Toast für uns in ihren Händen!
Der Vater entschuldigte sich erneut für sein Ausparkmanöver und erzählte uns, dass er selbst einmal Backpacker gewesen sei. Auch er hatte die Strapazen als Reisender mitgemacht und so konnte er die Bedürfnisse von uns nur zu gut nachfühlen.
Seine Freundlichkeit kannte keine Grenzen:
Er lud uns tatsächlich ein, am nächsten Tag in seinem Haus zu Frühstücken und dort Dusche und Toilette zu benutzen! TRAUMHAFT!
Klingt wie ein Märchen, oder?
Tatsächlich hat dieser herzensgute Mensch drei wildfremde Backpacker in sein Haus eingeladen. Ja, sein Verhalten ist so lobenswert und ich muss sagen:
Eine solche Person ist wohl ein Vorbild für JEDEN von uns!
Wir schlossen ihn sofort ins Herz und in unendlicher Dankbarkeit konnten wir am nächsten Tag tatsächlich GETOASTETEN Toast genießen und eine WARME Dusche benutzen. :)

Dann plötzlich machte sich Abschiedsstimmung breit:
JURI! Ja, wir hatten bereits Interessenten für unser treues Fahrzeug gefunden, und so war es jetzt also offiziell: Juri wurde verkauft.
Ein bewegender Moment, als der Kaufvertrag unterschrieben wurde und Juri plötzlich nicht mehr in unserem Besitz war.
JURI! Für Céline, Alina und mich war es damals der ERSTE Autokauf unseres Lebens!
Mehr als nur ein Auto –

eher ein Reisegefährte –

ein Freund –


oder gar ein BRUDER war er für mich gewesen!

Plötzlich sahen wir nur noch die Rücklichter von ihm und dann war er auch schon mit seinen neuen Besitzern hinter der nächsten Abbiegung verschwunden…
Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, und glaub mir: Céline, Alina und ich teilten ein Gefühl: Wir waren bedrückt.

Bedrückt. Zum einen weil unser Juri verkauft war und zum anderen, weil wir unsere schweren Rucksäcke nun wieder selbst tragen mussten.

Dennoch nahmen wir ohne zu zögern den Nachtbus von Adelaide nach Melbourne, denn ein großes Abenteuer stand an: SILVERS CIRCUS!
Für mich war es eine absolute Herzensangelegenheit meinem Zirkus einen letzten Besuch abzustatten! Meine „Familie“ dort erneut zu treffen :)
Und es gab noch einen weiteren Grund: Céline und Alina hatte ich während unseres Roadtrips unzählige Male von meiner Zeit als Clown dort erzählt, und nun war es an der Zeit: Ich wollte ihnen den Zirkus zeigen, die Show vorstellen!
Es war bereits abends, als wir die letzten Schritte vom Bahnhof zu den Showgrounds zurücklegten. Die Dunkelheit der Nacht offenbarte uns die großen beleuchteten Lettern über dem Zirkuszelt: SILVERS CIRCUS
Meine Gefühle beim Anblick des Zeltes waren unbeschreiblich:
Riesige Freude und auch ein wenig Stolz machte sich in mir breit. Ja, es war wie nach Hause kommen. Alles war so vertraut!
UNGLAUBLICH – ICH WAR ZURÜCK IN MEINER WELT :)
Es warteten eine Menge Besucher vor dem Eingang, aber als wir uns näherten, sah ich trotzdem bereits die ersten bekannten Gesichter :)
Mit strahlendem Gesicht begrüßte ich die Mitarbeiter des Zirkus und sofort wurde mir erzählt, dass ich eine Tradition eingeführt hatte:
„LADIES AND GENTLEMAN! THE DOORS ARE OPEN!“
Hatte ich vor der Show zu sagen gepflegt, als die Türen ins Zelt für
die Besucherschar geöffnet wurden :) Bis zum heutigen Tag wird mein Brauch weitergeführt und kann ich nicht leugnen, dass ich stolz war :)
Außerdem wurde mir verraten, dass die Mitarbeiter und Artisten bereits seit einer Woche untereinander tuschelten: „Andy wird zurückkommen, er wird uns besuchen“ :)
Ich kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus, dann plötzlich nahm uns Seiltänzerin Emma zur Seite und führte uns an der wartenden Schlange vorbei durch den Hintereingang ins Zirkuszelt. Unglaublich, wir wurden tatsächlich wie VIP-Gäste behandelt :)
Es war eine solch herzliche Begrüßung, die allerdings noch einen weiteren Höhepunkt fand:
Céline, Alina und mir wurde ein Platz in der ersten Reihe zugewiesen – obwohl das Zelt mit knapp 800 Plätzen an diesem Abend ausverkauft war.
Dann war es soweit: Die Show wurde eröffnet!
Es war ein ungewohntes Gefühl, die Aufführung als Zuschauer zu begutachten. Ja, es war seltsam. Dennoch hatte es seinen Reiz, denn sämtliche Artisten zwinkerten mir von der Bühne aus zu oder winkten. All die netten Gesten, die mir entgegengebracht wurden – ja, es war wirklich bewegend. Ich fühlte mich so willkommen!
Und dann plötzlich hörte ich eine allzu bekannte Musik:
Die Clowns!
Normalerweise bereitete ich mich in diesem Moment hinter der Bühne auf meinen Auftritt vor, aber am heutigen Tage war ich in der Zuschauerreihe und konnte meinem Nachfolger auf die Finger sehen.

Und dann plötzlich war der Zeitpunkt gekommen:
Es wurde eine Person ausgewählt, die von den Clowns auf die Bühne geholt wurde.
In meinen Gedanken hatte ich diese Situation bereits durchgespielt.
Ich war mir sicher, dass sie nicht mich auswählen würden, denn ich kenne den Auftritt zu gut.
Viel mehr hatte ich erwartet, dass mein alter Clownkollege Dominik eine Person aus meiner Begleitung auswählen würde, und so war es:
Alina musste auf die Bühne!
Mit viel Gelächter und Applaus von Céline und mir wurde der Auftritt unterstützt. :)


Dann stand das „Grand Finally“ an: Alle Performer kamen noch einmal auf die Bühne, um den finalen Applaus zu empfangen. Ich erklärte meinen zwei Reisepartnerinnen, an welcher Position ich jetzt stehen würde!
Bevor die Artisten wieder hinter dem Vorhang verschwunden sind, haben sie noch einmal speziell in meine Richtung gewunken und dann wurde die Show beendet.

Da waren wir nun also. Es war vermutlich das letzte Mal, dass ich die vertraute Musik des Zirkus gehört habe und so machte sich ein wenig Traurigkeit breit.
Doch dieses Gefühl wurde schnell überschattet, denn die Begeisterung bei Céline und Alina kannte keine Grenzen: Sie waren euphorisch und begeistert von der Show und all den großen Talenten, die unter diesem Zelt ihr Können vorgeführt haben!
Céline beschrieb die Show gar als „gigantisch und atemberaubend“.
Ja, ich war glücklich, dass ich ihnen diese Freude bereiten konnte! Um den Abend unvergesslich zu machen, gab ich ihnen eine Backstageführung hinter die Kulissen eines Zirkus und nahm sie anschließend mit, die Performer persönlich kennen zu lernen!
Wir suchten uns den Weg durch die Wohnwägen und führten ein nettes Gespräch mit Zauberer Simon, bis es schließlich soweit war: Der Abschied. :)
Ein war seltsamer Moment, meinen Freunden dort Lebewohl zu sagen.


Abschiedsstimmung machte sich breit. Juri war bereits verkauft, den Zirkus habe ich nun auch verabschiedet. Ja, es dauert nicht mehr lange, bis mein Flieger den australischen Boden verlässt.
Wer hat an der Uhr gedreht?

Ist es wirklich schon so spät?
Australien.
Ein Land, das unzählige tödliche Tiere beherbergt.
Die 10 giftigsten Spinnen der Welt, Haie, Krokodile, Schlangen und Würfelquallen nennen diesen Ort ihr zu Hause.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle etwas Positives verkünden:
ICH VERLASSE DAS LAND LEBENDIG :)
Lebendig und komplett vollständig mit zwei Armen und zwei Beinen kann ich die Heimreise antreten :)
Es ist soweit:
Ich verlasse die einzige Insel der Welt, die auch ein Kontinent ist.
Ich verlasse den einzigen Kontinent, der auch ein Land ist.

Ich werde eine lange Reise vor mir haben, dennoch werde ich auf dem Weg von Australien nach Deutschland Zeit gewinnen.
Einfach so. Ich werde während meiner Reise keine neuen Falten bekommen und kaum altern. Ein pfiffiges Kunststück wird vollbracht: Eine Weile werde ich unabhängig von Raum und Zeit reisen, denn bei meiner Ankunft in Deutschland werde ich plötzlich
8 Stunden jünger als mein Ich hier in Australien. Verrückt.

Doch von diesen haarigen Gedanken kommen wir nun lieber zurück zu den handfesten Tatsachen:
Ich freue mich unsäglich auf die Heimat!
Ich hatte eine wunderschöne Zeit hier auf der anderen Seite der Erde, dennoch ändert es nichts: Ich bin ein Familienmensch.
Ich weiß genau, wo ich hingehöre und welche Menschen ich in meinem Leben brauche.
Ja, wenn ich ehrlich bin: Ich könnte NIEMALS ohne meine Familie leben :)
Es gibt Dinge, die sind einfach unersetzbar.
Dennoch war dieser „Langzeitausflug“ optimal, um genau das zu realisieren:
Ich liebe meine Familie über alles.
Es war für mich zu keiner Zeit eine Option, in Australien zu bleiben. Ich musste oft die Frage verneinen, ob ich mein Studium abblasen werde und für immer als Clown im Zirkus bleibe.
Nun gut – ich könnte mich vermutlich schon an ein Leben im Rampenlicht und täglichem Applaus gewöhnen :)
Aber dennoch: Nein. Meine Familie ist mir zu wichtig.

Und nun ist es an der Zeit, man kann sagen:

Der verlorene Sohn kehrt zurück!


Ja, der Tag meiner Abreise ist nun fast gekommen.

So lange macht man sich Gedanken über diesen einen Tag. Doch plötzlich steht er vor der Türe und man fühlt sich nicht vorbereitet.


Glaub mir, ich befinde mich aktuell in einer unglaublichen Gefühlsachterbahn.
Australien hat mich verändert und ich bin gereift. Dieses Land hat sich einen Platz in meinem Herzen erobert, aber dennoch kann ich es kaum erwarten, meine Familie und meine Freunde in die Arme zu schließen. Es herrscht eine große Sehnsucht in mir.

Der Grund für meine Heimkehr könnte wohl kaum schöner sein. Eine Hochzeit.
Die Hochzeit meiner Schwester Katharina :)

Ich kann es kaum erwarten nach Hause zu kommen…


„… denn hier hast du das Fliegen gelernt.

Verlässt du das Nest, freust du dich umso mehr wiederzukehren!“




Bis demnächst!

Dein Andreas.