Samstag, 9. März 2013

Blick hinter die Kulissen




„Zirkus. Das ist bestimmt ein ganz eigenes Leben!“

Das ist es. Zweifellos.
Glanz, Glamour, Freude, Popcorn, Musik, Lichter, Spaß, Talent.

Das sind Begriffe die man mit dem Zirkus verbindet – ABER AUFGEPASST:
Wenn die lachenden Gesichter der Show verschwinden, dann zeigt die Zirkuswelt ihr wahres Gesicht. Heile Welt sieht anders aus.
Ja, der erste Eindruck trügt. Es gibt auch ebenso schockierende Dinge im Alltag eines Zirkus. Außergewöhnliche Menschen mit außergewöhnlichem Lebensstil. Jedoch nicht nur im positiven Sinne. Ja, es gibt Schattenseiten.
Was spielt sich ab wenn die Scheinwerfer ausgehen?

Dieser Rundbrief ist die große Enthüllung. Das Geheimnis wird gelüftet.
Ich werde euch einen Einblick zu Dingen geben, die man als Zuschauer nicht sehen kann.


Herzlich Willkommen zum

Blick hinter die Kulissen


Theoretisch habe ich im letzten Rundbrief bereits von meinem Abschied berichtet.
Du fragst dich warum der „Blick hinter die Kulissen“ erst danach kommt?
Ein ganz simpler Grund: Ich möchte diesen Rundbrief symbolisch von meinen anderen Erfahrungen im Zirkus abgrenzen.
Ja, der Großteil meiner Zeit im Zirkus war wunderbar, das möchte ich so in Erinnerung behalten, als ein Kapitel.
Dennoch will ich euch auch die Schattenseiten des Zirkuslebens nicht vorenthalten – ja, auch sie waren Teil meines Lebens dort.
Du willst wissen was auf dich zukommt?
Ja, eines solltest du bereits jetzt wissen: Im Laufe dieses Berichts wird die Spannungskurve stets steigen! Sprich: Je mehr du liest, desto schockierender wird es. :)
Doch zunächst möchte ich ein paar Wahrheiten aufdecken!

Ich möchte mit einer Zirkuswahrheit beginnen, die jedem von euch als Motivation dienen soll:
Wenn man die Artisten zunächst sieht, die „Lichtgestalten“, die tagtäglich im Applaus der Menge baden, täglich im Mittelpunkt stehen, die ein solch großes Talent haben, dann denkt man zunächst: Menschen von einem anderen Stern.
Doch lernt man sie persönlich kennen, dann erkennt man plötzlich:
Hey! Die kochen auch nur mit Wasser!
Auch wenn ihre Show noch so spektakulär ist: Sie sind auch nur Menschen! Sie haben auch Probleme.
Beispielsweise der Jongleur Yibi (Bild rechts): Er ist tatsächlich farbenblind seit seiner Geburt!
Stellt euch vor: Letztens musste ich ihm helfen eine Lampe anzuschließen. Warum?
Die Kabel - Grün? Braun? Man stelle sich vor er hätte sie falsch verkabelt – aber ich war natürlich so nett und bin ihm hilfsbereit zur Seite gestanden :)



Und es gibt eine weitere Offenbarung: Auch die Profis kennen Nervosität!
Ich erinnere mich: Wir hatten eine große VIP-Eröffnung unserer Show und ich wollte hinter dem Vorhang mit Rosita, die Artistin an den Ringen (Bild links), plaudern.
Sie, die Tochter des Zirkusdirektors, UNZÄHLIGE Auftritte, schon ihr komplettes Leben lang. Und was meinte sie?
„Andreas, ich bin zu nervös deine Frage zu beantworten!“
Interessant zu wissen. Und ein Trost und Motivation, dass selbst Berufsartisten und Profis so etwas wie Nervosität kennen, auch wenn alles immer leicht, locker und lässig aussieht!






Und noch eine weitere Wahrheit möchte ich aufdecken:
Es ist wahr: Zirkuskinder gehen nicht zur Schule!
Sie werden zu Hause unterrichtet. Von ihren Eltern. Genannt: Homeschooling.
Und letzten Dezember wurde ich Zeuge: Ein Zirkuskind wurde geboren.
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die Zukunft dieses Kindes ist bereits beschlossene Sache: Zirkus.
Ohne eine Schulbildung hat das Kind nahezu keine Chance, einen anderen Beruf zu erlernen. Ein Austritt aus dem Zirkus ist enorm schwer, nahezu undenkbar. Ja, es ist traurig aber wahr.



LEBENSGEFAHR! Jeder normale Mensch versucht diesem Zustand aus dem Weg zu gehen. Nicht jedoch die Motorradfahrer der GLOBE OF DEATH!
Doch man fragt sich: Wie sieht die mentale Vorbereitung aus, wenn man gleich sein Leben und sogar das Leben anderer bewusst riskiert?
Wie würde es bei dir aussehen? Zittern? Schweißausbrüche?
Ich weiß, wie es bei Profis aussieht. Tagtäglich konnte ich ihre mentale Vorbereitung hinter dem Vorhang beobachten, mich mit ihnen Unterhalten.
Anspannung? Bei Ricardo (Foto: Ricardo steht rechts neben mir) nicht zu sehen. Lediglich ein paar lockere Sprüche, ein paar Witze und dann geht es auf die Bühne. Verrückter Typ.
Ebenso der zweite Rider Phoenix (Foto ganz links), bei ihm ist die Anspannung allerdings zu spüren.
Und Dominik? (Foto: ganz rechts) Er hingegen ist hinter der Bühne stets in sich gekehrt. Höchste Konzentration, ja vielleicht sogar Meditation. Doch sobald der Vorhang aufgeht, gleicht es einer Explosion:
Unglaubliche Präsenz und Ausstrahlung – von einem Moment auf den anderen.


Und nun eine kleine schockierende Tatsache: Sonntage sind im Showbusiness nicht heilig!
Man arbeitet wie jeden anderen Tag, der Sonntag hat absolut keine Sonderstellung in der Woche.
Es kommt sogar noch schlimmer: Wenn der Umzug zu einem neuen Showground bevorsteht, dann wird der Sonntag sogar zum  arbeitsREICHSTEN Tag der Woche.
Meine Meinung? Ich finde es ein wenig traurig. Es ist der „Tag des Herrn“ und sollte als Ruhetag gewahrt werden.
Aber davon hält man wohl allgemein hier in Australien recht wenig: Selbst Supermärkte haben sonntags geöffnet.


Und nun möchte ich dir von etwas berichten, was mir Besonders in meiner ersten Zeit im Zirkus zu schaffen gemacht hat. Eine recht simple Tatsache:
Ich wohne an meinem Arbeitsplatz!
Zunächst denkt man: „Klasse, man spart sich den Weg zur Arbeit“.
Nach einiger Zeit wurde mir allerdings klar:
Ich lebe in einem immerwährenden Bereitschaftsdienst.
Gibt es etwas zu erledigen? Kein Problem, die Arbeiter sind immer anwesend.
Ja, ein Klopfen an der Türe meines Wohnwagens konnte meinen ganzen Planungen für den Tag zunichte machen. Im Prinzip musste man all seine Tätigkeiten unterbrechen und sofort helfen. WIRKLICH sofort helfen. Ich erinnere mich, als ich gerade auf dem Weg war um mein Mittagessen für den Tag zu kochen. Mittagessen? Das musste eben ausfallen.
Zu Beginn hatte ich mich beschwert, das sei nicht möglich dachte ich. Die Antwort:
„Welcome to the circus“
Wahrhaftig. Es sei im Zirkus so üblich, da gibt es nichts zu rütteln.
Und so lebte ich mit einer ständigen Angst vor Klopfgeräuschen! Ich persönlich hatte meinem Angstzustand zunächst den Namen „Klopferitis“ gegeben, der im Laufe meines Zirkuslebens allerdings sogar ins Stadium der „Klopfophobie“ mündete.
ANMERKUNG: Sollte mich in Zukunft jemand zu Hause in Deutschland besuchen wollen, dann bitte NICHT klopfen! Einfach eintreten ist mir lieber :)


Ob man für das Zirkusleben geschaffen ist oder nicht, ja, das merkt man bereits nach den ersten Tagen. Das Resultat?
Einige Arbeiter haben bereits nach wenigen Tagen einfach ihre Koffer gepackt und sind abgehauen – nachts. Ohne Voranmeldung – schlicht und einfach zu feige um dem Direktor Bescheid zu geben. Oder ihre persönliche Niederlage war ihnen zu peinlich.
Ja, sie hatten wohl die Erkenntnis: Das Zirkusleben ist zu hart.
Hier im Zirkus hat man für eine solche Flucht bereits einen Namen: „Midnight flip“
Ja, vor einigen Wochen hatten wir zwei neue Arbeiter bekommen, sie merkten: Oh, das Zirkusleben ist kein Zuckerschlecken!
Und was passierte? Nach wenigen Tagen waren sie eines Morgens plötzlich spurlos verschwunden. Wir hegten keine Zweifel: Es war ein astreiner Midnight flip.
Und ich war Zeuge! Ich persönlich pflege zu sagen:
Ist das Zirkusleben zu hart, bist du zu weich!



Nun etwas anderes: Wie ihr wisst LIEBE ich das Zirkuszelt.
Ich hatte so viele schöne Augenblicke dort und so viele positive Gefühle.
Allerdings nicht immer. Es gab Momente, in denen ich dachte ich wäre der Hauptdarsteller in
 „Andreas Schaible und die Kammer des Schreckens“
Besonders oft kam es beim Auftritt von unserem Jongleur Ricardo vor.
Ich war stets während seines kompletten Auftrittes auf der Bühne. Ich warf ihm die Keulen zu, er warf sie zurück, ich warf ihm die Ringe zu uuuuund das hört sich alles wunderbar an :)
Allerdings kann einiges schief gehen. Ja, es kam vor, dass ich eine Keule nicht gefangen habe und sie irgendwo auf dem Boden landete. Theoretisch kein Problem.
Wenn man sich allerdings vorstellt, dass unzählige Zuschauer im Zirkuszelt sitzen, dann wird das ganze gleich meeeeeega peinlich.
Und ich erinnere mich. Es war nach einer langen Nacht. Sage und schreibe zwei Shows sollten an diesem Tag stattfinden und ich? Sagen wir mal: Ich war nicht besonders fit :)
Dann sollte ich den Ring zu Ricardo werfen, hatte mich nicht richtig konzentriert und…
YIUUUH. Da flog der Ring an seinem Kopf vorbei.
Mittlerweile kann ich darüber lachen. In dem Moment wäre ich allerdings am liebsten im Erdboden versunken :) Und Ricardo? Er warf mir den bösen Blick zu!
Und nun die gute Nachricht: Wir blieben trotzdem Freunde :)


Ja, es ist wahrhaftig eine verrückte Zirkuswelt.
Schau dir dieses Foto an :)

Ich habe es schon vor meinem inneren Auge – Die Werbung des Tattoostudios:


Tattoos mit den Namen der eigenen Kinder? – LANGWEILIG.

Chinesische Schriftzeichen? – OUT



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So. Im Folgenden werde ich euch Personen aus dem Zirkus vorstellen.
Jeweils in einer Art Steckbrief.
Es sind Personen, die nicht im Rampenlicht stehen.
Es sind Personen, die in ihrer Art höchstinteressant sind. Teil aber auch schockierend und teils auch traurig. Doch ich will nichts vorweg nehmen – mach dir dein eigenes Bild.




Steckbrief:
Name: Loopie Madcat
Alter: unbekannt – ABER: dem Aussehen nach eine Menge Lebenserfahrung.
Im Zirkus beschäftigt seit: Nicht Vollzeit.


Da sind wir nun bei Loopie.
Absoluter verrückter Typ, was wohl schon sein Name vermuten lässt:
LOOPIE MADCAT.
Zunächst dachte ich: Witziger Spitzname.
Bis er mir dann seinen Personalausweis gezeigt hat – Es ist tatsächlich sein OFFIZIELLER Name.
Aber nicht nur das ist außergewöhnlich. Nein. Auch seine Geschichten.
Loopie hat jahrelang in verschiedenen Zirkussen gearbeitet, in ganz Australien. Dabei zählten auch Löwen schon zu seinem Aufgabenbereich und er hat mir erzählt, er sei bereits zwei Mal gebissen worden. Dennoch hätte er noch alle Finger und nur eine kleine Narbe an seiner Hand, die er mir mit vollem Stolz präsentierte.
Ja, Loopie hat stets außergewöhnliche Geschichten in seinem Repertoire.
Einmal habe ich ihm gesagt: „Loopie, du bist ein merkwürdiger Mensch.“
Seine Antwort? „Ja, Andy! Und du kennst nur einen klitzekleinen Teil aus meinem Leben.“



Steckbrief:
Name: TIMMY
Alter: ca. 35 Jahre
Mitarbeiter des Zirkus: Seit knappen 5 Jahren


Timmy ist ein netter Kerl, ohne Frage. Dennoch ist seine Lebensweise – nennen wir es mal „Besonders“ – in vielerlei Hinsicht.
Warum? Fangen wir an! Doch zunächst eine kleine Zwischeninfo:
Hier im Zirkus wird der Lohn wöchentlich ausgezahlt.
Auf das Bankkonto überwiesen? Nein.
Es läuft so: Jeder Performer und Arbeiter im Zirkus macht sich sonntags auf den Weg zum Wohnwagen des Zirkusdirektors. Es wird geklopft und man erhält einen Briefumschlag mit dem entsprechenden Lohn – in Cash – das heißt: Bargeld.
Im Falle eines Timmys bringt das allerdings große Nachteile mit sich, denn:
Woche für Woche das gleiche Szenario. In aller Kürze und doch Unmissverständlich:

Timmy - Klopfen - Geld - „Danke“ – Shop - Bier - Zigaretten

Ja, EIN Feierabendbier darf man sich gönnen.
Wenn aber plötzlich an EINEM Abend der gesamte WOCHEN-Lohn auf den Kopf gehauen wird, dann ist es doch etwas zu viel des Guten.
Und nicht selten kommt es vor, dass er dann am Montag mit Kratzern und Schürfwunden im Gesicht ins Zirkuszelt kommt, und erzählt „jemand hätte ihn stolpern lassen“.
Ich muss zugeben, das erste Mal habe ich es ihm abgekauft – Ja, hatte gar Mitleid.
Mittlerweile habe ich ihn aber bereits mehrmals betrunken gesehen, er ist nicht der sicherste auf den Beinen :)
Ja, aber gestolpert ist er vermutlich schon –Über seine eigenen Beine :)
Ja, und mittlerweile frage ich schon gar nicht mehr nach, wenn er montags mit einer neuen Schürfwunde in die Woche startet.

Ach, da wir gerade bei Montag sind: Nicht selten kam es vor, dass er wahrhaftig einen Tag nach dem Zahltag bereits an meinen Wohnwagen geklopft hat.
„Andy? Könntest du mir vielleicht etwas Geld leihen?“
EINEN TAG nach seinem Gehalt. Das muss man sich vorstellen.

Unglaublich? Das war noch nicht alles.
Das Visum von unserem Breakdancer aus Estland ist abgelaufen, nach knappen 2 Jahren hat er den Zirkus verlassen.
So war es an der Zeit neue Mitarbeiter zu begrüßen - alles wurde verständlicherweise auf Vordermann gebracht.
Man sollte etwas Eigeninitiative von seinen Mitarbeitern erwarten, was Größtenteils geklappt hat. Doch bei Timmy musste Jungchef Dominik zu anderen Methoden greifen.
Andere Methoden? Es war ein Satz.

Ja, ein Satz, den ich bereits so ähnlich aus meiner früheren Kindheit kannte:
„Timmy, räum dein Zimmer auf!“
Zur Erinnerung: Timmy ist knappe 35 Jahre alt, ein gestandener Mann sollte man meinen.
Dennoch muss man ihm eine solche Arbeitsanweisung geben?
Ich konnte es nicht glauben. Für mich gab es nur eine Erklärung:
Er lebt das Motto „FÜR IMMER JUNG“ in Perfektion! :)
Somit nimmt er wohl die Rolle eines junggebliebenen 7-jährigen an.
Und Dominik? Hat keine Wahl. In diesem Szenario bleibt für ihn nur die Rolle als „Mama Dominik“ übrig.

„Mama Dominik“? Ja, sie nimmt des Öfteren die Rolle des Spielverderbers in Timmys Leben ein. Warum?
Letztens stand der Zeltabbau an und Timmy? Er erschien tatsächlich BETRUNKEN zur Arbeit.
Resultat: Mama Dominik musste gründlich schimpfen!
Puh. Doch für Timmy ist es glimpflich ausgegangen: Bislang gab es noch keinen Hausarrest! :)


Steckbrief
Name: Bruce
Alter: ca. 65 Jahre
Im Zirkus beschäftigt seit: Über 30 Jahren – Der Dauerbrenner

Bruce. Ja, Bruce zählt in jedem Falle zum Kreise der interessantesten Menschen, die ich in meinem Leben bislang getroffen habe. Dieser Mann ist ein Phänomen.
Und das durfte ich bereits in meinen ersten Tagen im Zirkus feststellen! Warum?
Weil er bereits bei meiner Ankunft in einem sogenannten „Lockdown“ war.
Dieser Begriff ist hier im Zirkus sozusagen schon fast ein Synonym für den Lebensstil von Bruce. Doch was verbirgt sich dahinter?
In einem solchen Lockdown schließt sich Bruce in seinem Raum ein - Ein Raum mit der Größe von ungefähr 4 Quadratmetern –winzig.
Allerdings nicht nur für wenige Stunden, nein. Der Zeitraum kann von wenigen Tagen bis zu sage und schreibe DREI Wochen reichen.
In dieser Zeit hört und sieht man nichts von Bruce – keine Spur von ihm. Weder in der Küche, noch in der Dusche, selbst in der Toilette habe ich ihn in der Zeit nie gesehen.
Nur sein Radio läuft – Tag und Nacht.
Sein sonstiger Zeitvertreib in dieser Zeit? Zigaretten, Bier und jede Menge Schlaf.
Es ist eine Art „Winterschlaf“, die er da betreibt. Vermutlich wird auch sein Stoffwechsel heruntergeschraubt, anders kann so etwas kaum möglich sein.
Und das interessante: Wenn er nach Wochen des Lockdowns wieder den Weg in das Tageslicht wagt, dann verliert er kein Wort über seine Abwesenheit.
Im Gegenteil: Er geht nahtlos in seinen „Alltag“ über: Putzt die Trucks, sortiert alte Werkzeuge, repariert kaputte Maschinen.
Und plötzlich verschwindet er im nächsten Lockdown.
Anfangs konnte ich es nicht glauben, dass er tatsächlich die gesamte Zeit in diesem kleinen Raum verbringt, ich hielt es für unmöglich. Aber es ist wahr: Der Zirkusdirektor öffnet hin und wieder die „Höhle“ von Bruce – er ist da.


Steckbrief:
Name: Dylan
Alter: ca. 35 Jahre
Im Zirkus beschäftigt: Mehrere Jahre – bis zu jenem Tag, der alles verändert hat.
            Ich werde dich im Folgenden aufklären.

Ja, Dylan. Er war selbst bereits Performer in mehreren Zirkussen in Australien.
„Flying Trapeze“ zählte zu seinen Disziplinen, sowie das „Tender Board“, bei dem er teilweise 4 Personen auf seinen Schultern getragen hat.
Doch mittlerweile ist der Glanz aus seinem Leben verschwunden.
Aufgrund von körperlichen Problemen ist dies nicht mehr möglich – was allerdings vorherzusehen war, wenn man ehrlich ist:
Schultern sind schließlich nicht dafür geschaffen, tagtäglich das Gewicht von 4 Personen zu tragen!
Ja, und so führt er mittlerweile für seine Verhältnisse ein recht unscheinbares Zirkusleben.

Unscheinbares Leben mit ein paar – nennen wir sie mal: PAUKENSCHLÄGEN.
Zwei dieser „Paukenschläge“ möchte ich euch erzählen. Macht euch bereit:
Der erste spielte sich in unserer Gemeinschaftsküche ab:
Hungrig machte ich mich auf den Weg um meinen Bauch zu füllen – in der Küche traf ich auf Dylan. Zunächst nichts Besonderes festzustellen. Nur die Mikrowelle lief.
Was Feines zu essen?
Nein. Er trocknete gerade Drogen in der Mikrowelle. Ja, er würde sie trocken bevorzugen,
da könne er besser einzuschlafen. Puh.

Du denkst das ist schockierend?
Dann warte bis ich dir von dem zweiten PAUKENSCHLAG erzähle!
Die Tage nach dem zweiten „Paukenschlag“ konnte ich an nichts anderes mehr denken, ja, gar bis heute ist diese Aktion für mich unbegreiflich.
Bereit?
Nur noch mal zur Erinnerung: Dylan hat bereits mehrere Jahre im Zirkus gearbeitet.
Mehrere Jahre in denen sich persönliche Bindungen und Freundschaften entwickeln. Mehrere Jahre in denen Erinnerungen entstehen, die einem doch viel Wert sein sollten.
Ja, so erwartet man es – bei „normalen“ Personen.
Dylan? Dylan hält davon nichts – wie sich herausstellte. Seht selbst:
Es war an einem Samstag. Wir hatten eine Zirkusshow und alles schien wie immer.
Dylan war anwesend, erledigte seine Aufgaben, nichts außergewöhnliches.
Und dann? Plötzlich war er weg. Verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.
Was ist passiert? Während der Zirkusshow hat er einen sogenannten „Runner“ gemacht.
Sprich: All seine Sachen gepackt und das Weite gesucht.
Einfach abgehauen. Ohne etwas zu sagen. Doch es sollte noch schlimmer kommen:
Dylan teilte mit dem Kollegen Dustin den Wohnwagen, sie waren Freunde.
Wirklich? Dustin fehlten plötzlich 700 Dollar. Gestohlen. Von seinem „Kumpel“ Dylan.
Dann wurde direkt die Polizei informiert und direkt die Fahndung aufgenommen.
Auch unser Jongleur Yibi startete eine Verfolgungsjagd: Er machte sich sofort auf eigene Faust auf den Weg zur Zugstation – Denn: Dylan musste ohne Auto unterwegs sein.
Yibi blieb leider ohne Erfolg. Dennoch ist die Verfolgungsjagd geglückt:
Bereits 2 Stunden später war Dylan auf der Policestation.
Wer hatte ihn gefunden? Die Polizei. In einem Casino. Am Spielautomaten.
Die 700 Dollar? Bereits komplett verspielt.

Ich konnte es nicht glauben. Schockierend. Unglaublich.
Ja, diese Story könnte man direkt verfilmen.
Aber wisst ihr was das schlimmste ist?
Ich dachte Dylan zu kennen. Ich dachte, er sei in Ordnung. Ich habe stets das Gute in ihm gesucht und nun wurde mein Glauben an die Menschheit in den Grundfesten erschüttert.
Ich konnte die ersten Tage an nichts anderes denken – es hat mich schockiert. Ehrlich.


Nun seid ihr informiert.
Natürlich sind nun alle Schattenseiten auf diesen einen Rundbrief fokussiert. Das wirkt nun zunächst schockierend.
Dennoch muss man dies in Relation zu den vergangenen Berichten sehen, die stets schöne Dinge beinhaltet haben – unzählige schöne Dinge.
Deswegen möchte ich diesen Rundbrief mit einem Satz beschließen. Ein Satz den ihr wissen müsst. Ein Satz, den ich unglaublich wichtig finde:


Aus den tiefsten Quellen meiner Überzeugung kann ich sagen, dass das Kapitel Zirkus unglaublich wundervoll und für mich einfach unbezahlbar war.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Australien, 9.3.2013
Andreas Otto Franziskus Schaible